Das Deutsche Haus in der virtuellen Realität

Zurück

Wie sollten heute Museumsgegenstände und Exponate für die Nachwelt bewahrt werden? Und was kann man tun, wenn der größte Teil einer Ethnie außerhalb des Gebietes gelandet ist, in dem sie mehr als 140 Jahre lang gelebt hat, aber auch heute noch die Erinnerung an diese Periode der eigenen ethnischen Geschichte bewahrt, jedoch nicht immer die Möglichkeit für eine echte Reise in das einstige Heimatland hat? Diese Fragen sind heute relevanter als je zuvor.

Die Grenzen können sich in jedem Augenblick schließen, der Flugverkehr ist auf ein Minimum reduziert und der Prozess der Visaerleichterungen könnte ebenfalls ausgesetzt werden. Warum in dieser Situation nicht eine virtuelle Reise durch den Bildschirm seines Gadgets unternehmen? Heute bietet das Bayrische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) in Nürnberg, Deutschland den russischsprachigen Deutschen in Deutschland, den ethnischen Deutschen Kasachstans und allgemein allen, die sich für die Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen in Deutschland, Kasachstan und den Ländern Zentralasiens, Russlands, Amerikas usw. interessieren, diese Möglichkeit. So kann man auf der Seite des BKDR (www.bkdr.de) beispielsweise zu einer Reise nach Moskau, Sankt Petersburg oder nach Sibirien aufbrechen und Objekte besichtigen, die historisch mit der deutschen Präsenz in diesen Regionen verbunden sind, oder man kann durch Museumssäle wandern, in denen deutsche Kollektionen gesammelt werden, und deren Exponate aus nächster Nähe betrachten.

Im Oktober 2020 entstand für Interessierte ebenfalls die Möglichkeit, eine virtuelle Tour Nach Kasachstan, nach Ust-Kamenogorsk, oder genauer gesagt in den Museumspark Ostkasachstan zu unternehmen und ein deutsches Gutshaus aus der Mitte des 20. Jahrhunderts zu besichtigen. (http://www.bkdr.de/VRundgang/Ust-Kamenogorsk/)

Heute ist der regionale Museumspark für Architektur, Ethnografie und Naturlandschaften Ostkasachstan, welches im Jahr 1968 gegründet wurde, einzigartig und das einzige Museum in der Republik Kasachstan mit diesem Arbeitsprofil. Die gesammelten Museumskollektionen repräsentieren das ethnografische und historisch-kulturelle Erbe von 38 Völkern und ethnischen Gruppen, die auf dem Territorium des Gebietes leben. Bis heute verfügt der Gesamtfonds des Museumsparks über 69.936 Objekte, von denen 500 Objekte die deutsche Sammlung bilden.

Die ersten deutschen Objekte kamen Ende der 1970er Jahre in die Sammlung des Museumsparks. Später, im Jahr 1989, begann mit der Schaffung der Abteilung der Ethnografie der Völker und zahlenmäßig kleinen ethnischen Gruppen die gezielte Sammlung von Exponaten an den Orten, an denen die deutsche Bevölkerung konzentriert lebt. Deren Geschichte im Gebiet Ostkasachstan beginnt zum Ende des 19. Jahrhunderts und setzt sich, trotz aller tragischen Bewährungsproben und dramatischen Ereignisse im Schicksal des deutschen Volkes im 20. Jahrhundert, bis heute fort.

Im Museum wird ein traditionelles deutsches Gutshaus aus der Mitte des 20. Jahrhunderts präsentiert, welches nach den Plänen des Hauses deutscher Sondersiedler aus dem Dorf Gerasimowka im Ulansker Kreis im Gebiet Ostkasachstan rekonstruiert wurde. Die Häuser und Wirtschaftsgebäude der Deutschen in Kasachstan unterschieden sich immer von den Ansiedlungen und Wohnstätten der umliegenden Bevölkerung. Es gab solche Konzepte, wie das „deutsche Haus“, das „deutsche Dorf“, die „deutsche Siedlung“. In dieser Art der deutschen Wohnstätte haben sich die Traditionen aller früherer Wohnorte der Deutschen bewahrt, bis zu ihrer Umsiedlung auf das Gebiet Kasachstans. Mit Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwischten die Unterschiede zwischen den deutschen Wohnhäusern und den Wohnhäusern der umliegenden Bevölkerung allerdings schrittweise. Es blieben wesentliche Unterschiede in der Aufteilung des Anwesens, des Hauses, der Außengestaltung, der äußeren Dekoration, sowie in den Details des Innenraumes.

Bei einem virtuellen Rundgang durch das deutsche Gutshaus im Museum Ust-Kamenogorsk kann man erkennen, dass es aus einem Wohnhaus, einem überdachten Innenhof mit Keller, einem Brunnen und zwei Wirtschaftsgebäuden besteht. Die Gesamtfläche des Hauses beträgt 156 Quadratmeter, die Wohnfläche besitzt 72,5 Quadratmeter. Sämtliche Räumlichkeiten des Gutshauses befinden sich unter einem Dach, es gibt überdachte Übergänge von den Wohnräumen zu den Wirtschaftsgebäuden. Das Wohnhaus besteht aus drei Zimmern: einem Vorraum, dem Schlafzimmer, der Küche und einer Veranda. Im Haus werden Alltagsgegenstände deutscher Familien gezeigt. Fotografien des Gutshauses und des Interieurs kann man ebenfalls auf der Seite des Virtuellen Museums der Deutschen der Republik Kasachstan (www.wiedergeburt.asia) betrachten.

Die virtuelle Tour durch das Deutsche Haus in Ust-Kamenogorsk ist ein Gemeinschaftsprojekt des BKDR (mit finanzieller Unterstützung durch das Bayrische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales) und der Gesellschaft der Deutschen „Wiedergeburt“ der Stadt Nur-Sultan und des Akmolinsker Gebietes (Leiter Berg I.W.). Von kasachischer Seite aus waren Ju. I. Podoprigora (Ph.D, Mitglied des Wissenschafts- und Expertenrats der gesellschaftlichen Stiftung „Wiedergeburt“) und B. M. Kumarowa (Betreuerin der Abteilung der Sammlung des Museums Ust-Kamenogorsk) an der Umsetzung des Projekts beteiligt.

Unserer Meinung nach ist die Erarbeitung solcher virtueller Touren nicht nur eine interaktive Reise, sondern eine ernsthafte Arbeit, die vom BKDR zur Bewahrung des kulturellen und historischen Erbes der Russlanddeutschen durchgeführt wurde. Ich möchte meine Hoffnung auf eine Weiterführung der Zusammenarbeit mit dem BKDR im Bereich der Erforschung, Bewahrung und Popularisierung des ethnokulturellen Erbes der Deutschen Kasachstans zum Ausdruck bringen.

Podoprigora Ju.

Übersetzung: Philipp Dippl

Поделиться ссылкой:

x